Dienstag, 4. November 2014

in erinnerung


Es ist eine besondere Irone, ein unwissendes Verwechseln oder blinde Hoffnung, dass die meisten Katholiken die Gräber ihrer Verstorbenen zu Allerheiligen besuchen und nicht zu Allerseelen wie es dogmatisch richtiger wäre.

So auch wir, auf unserer Friedhofstour 2014, wir führen meine Eltern zu den Orten ihrer Kindheit die regional über weite Strecken auch mit den Orten meiner Kindheit korrelieren. Es ist blauer Himmel an diesem Tag in der Buckligen Welt, die sonst für Wind und Kälte berüchtigt ist und die Sonne ist warm, wie um zu sagen, dass die Erinnerung nur wärmen soll aber nicht überhitzen.


Ohne Mantel auf dem Friedhof und zu aller erst zum Grab in dem Martin-Onkel liegt, der Kinderlähmung überlebt hat und seitdem gebückt ging und möglicherweise deshalb uns Kindern so nahe war. Beim Dreschen mit der großen Maschine stand er immer ganz oben, wo man über den Einzugsschacht nur kauern konnte - weil dies seine natürliche Körperhaltung war - und stopfte die Ähren in den gierigen Schlund. Von ihm bekam ich mein erstes Gewehr - eine Lindenholzwinchester (aufgrund meiner damaligen Dimensionen mir eine Elephantenbüchse) - mit Kaibl-Strick-Haltegurt.


Und im selben Grab liegt Onkel Hans, der es überlebt hat als kindlicher Forschungsgeist auf eine zurückgelassene Panzerfaust traf und später nochmals wurden die Schutzengel strapaziert, als die Autos immer leistungsfähiger wurden und die Autogurten noch nicht so verbreitet waren. Ein steifes Bein und ein Fachmann an den Motoren - ich denke für einige Jahrzehnte hatte er die Bestellnummern aller VW Ersatzteile auswendig im Kopf. Er war mein Firmpate und schenke mir meine erste Spiegelreflex - und bestimmte damit die Art und Weise wie ich die Welt sehe oder versuche sie festzuhalten. Er hat die Erinnerungen nicht nur wach gehalten, sondern sie auch erst ausgegraben.


Beide waren sie Kettenraucher und deshalb schmeckt kalter Zigarettenrauch für mich noch immer nach Einsamkeit.


Weiter zum Grab meiner Großeltern (väterlicherseits) und am Grabstein Namenspermutationen wie
sie sich heute noch in meinem engsten Familienverband finden. Die Erinnerung an meine Großmutter kommen mehr aus dem Kopf als aus dem Herzen, vielleicht weil man im Moment der Verlustes die wirkliche Erinnerung heimlich vergräbt um es irgendwie auszuhalten. Aber vergraben ist nicht vergessen, Erinnerung ist wie Dünger, durchdringt den Boden und strömt früher oder später ins Grundwasser. Und am Ende ist - in diesem Fall - nur die Hintergrundstrahlung der Geborgenheit. Ich war der letzte der sie sah bevor sie starb (weil das "als letzter den Schauplatz verlassen" damals schon meine persönliche kleine Masche war - ich alt genug war, dass ich dass durfte - und damit schon irgendwie mit mir fertig war). Als sie starb war ich ministrieren und als meine Eltern zu spät in die Messe kamen wussten wir was Sache ist. Jedenfalls ist sie meine Vorlage des Archetyps der großen Mutter.


Und neben ihr mein Großvater - der immer der Mann mit dem Hut war, auch als sich meine kleine Tochter dann davor fürchtete. Das ich mit ihm herzlich gewesen wäre, daran kann ich mich nicht erinnern, obwohl eine ganze Reihe Schwarz-Weiß Fotos genau dies beweisen. Er und ich beim Zegerlflechten und die kleine Hoanzl-Bank auf der ich mit Holzwerkzeug rumgewerkt habe, hat er auch gemacht. Und dann noch eine schreckliche Nacht, als ich - von zu viel frischen Germknödel - tausendmal aufs Plumpsklo hinterm Haus geschlichen bin, da hat er die Taschenlampe gehalten. Und ich schätzt ich hab sein Lachen geerbt (jedenfalls das stille).


Und im unteren neuen Teil des Friedhofs das Grab von Tante Frieda, die immer gelacht hat auch wenn sie oft keinen Grund hatte. Nichts konnte so schlimm sein, dass Tante Frieda es nicht mit wenigstens einem kleinen Lächeln erzählt hätte. Irgendwann in den früheren 80ern hat sie sich vor einen rollenden Mercedes gestellt und aufgrund ihrer Statur ihn tatsächlich aufgehalten. Denk an Tante Frieda - da geht noch was. Und der Name ihre Mannes auf dem Grabstein liegt im Schatten wie um die Tragik zu unterstreichen die eintritt, wenn man nicht loslassen kann. Manche sind tot bevor sie sterben.


Und zurück über die unsicheren Wege zum Wagen, geht es weiter in den Ort meiner Mutter zu einem Mittagessen im Dorfgasthaus, (DEM Gasthaus) in dem auch schon viel passiert ist. Ja, hier in Bromberg bin ich auf mehrere Arten und Weisen erwachsen geworden. Und der Wirt braucht auch nur ein ganz klein wenig Zeit um die exakten Familienzugehörigkeiten dieser Partie zu rekonstruieren, aber wenigstens meinen Familiennamen muss ich hier nicht buchstabieren.


Und danach zum Grab meiner Großeltern (mütterlicherseits). Das Grabkreuz, das mein Großvater (Dorfschmied) selbst gemacht hat als seine Frau starb. Meine Großmutter mit der ich nie ein Wort gewechselt hab (Alzheimer? Parkinson?) und die dennoch immer irgendwie da war. Mein Großvater der sich das Rauchen abgewöhnt hat, so das in meiner Erinnerung nur die Surrogatzuckerl übrig sind und der Geruch nach Schmieröl und Metall. Er, in dessen Werkstatt wir uns immer bedient haben (mit Ausnahme des Schweißbrenners) egal ob es um Fahrradschrauben, Blechplattenverstärkungen für die Seifenkistln oder um Stahlrohre für riskant ambitioniert Feuerwerksköper ging. Ich denke ich grinse wie er (aber nur wenn ich nicht ganz nüchtern bin).

Dann weiter zu etwas jüngeren Gräbern, Namen die noch nicht so sehr Vergangenheit sind. Das Grab von Wedl Sepp den ich eigentlich nur von einige wenigen Arbeitseinsätzen kennen, aber der von Anfang an in Erinnerung bleibt. Einer der Sachen macht. Einer der so ist wie man mal sein wollte. Und der zeigt, dass alles was du dir vorstellen, auch bauen kannst. Ich war etwa 10 als er mir - unwissentlich - zur ersten Zigarette verholfen hat und mich damit auf ewige Zeiten davon ferngehalten hat. Und als ich von seiner Erkrankung hörte, war es natürlich ein Schock weil es immer nur die Guten erwischt, aber langfristig betrachtet war es eine Vorbereitung.


Und dann das Grab von Onkel Franz. Er starb am gleichen Tag als ich meine Diagnose hatte, und das Telefonat in dem meine Mutter und ich die schlechten Nachrichten austauschten, war auch das selbe. Bei seinem Begräbnis war ich nicht dabei, weil ich noch zu geschafft von meiner OP war (obwohl das ja nur die "kleine" war) und meine Frau hielt die Stellung. Ob die Wiederholung der Jahrestage es auch für sie leichter macht? Zwei, drei Sommer lang haben Onkel Franz und ich viel Zeit auf der Baustelle verbracht - erst die Behutsamkeit mit der man übergewichtige Stadtkinder an den Schweiß gewöhnt und am Ende das Vertrauen das man benötigt um auf engsten Raum oder in schwindelnder Höhe eine Kettensäge oder einen Flämmer zu bedienen. Ein Witz auf meiner Hochzeit.... und dann wollen wir weiter.

Ungeplantes Klassentreffen am Friedhof, ein Schulkollege meines Vaters pusselt meine Mutter ab ("eh nur auf die Wange" sagt sie nachher und wir überlegen den Rest den Tages ob es eine Feststellung, eine Rechtfertigung oder eine Beschwerde war) Auch mein Vater, schon auf halben Weg zum Auto, kommt zurück. Und beide - zwei Männer auf drei Krücken - kommen überein, dass sie noch was erleben wollen. Der fröhliche Singsang des Fremden wird mir bekannt vorkommen aber irgendwie bitter schmecken, bis mir meine Mutter viel später erzählt, dass er der Vorbeter gewesen ist, ich ihn also nur von den Begräbnissen kenne. Langsam spazieren wir zum Parkplatz und mein Vater erzählt in knappen Worten meine Geschichte und im späten Sonnenlicht wird es klar - aber wir genießen es - dass wir alle drei schon in der Bonusrunde sind.

 Tagesausklang - unangesagt sind wir bei meinem Cousin reingeschneit (wo schon jede Menge andere sind) und liegen, sitzen, lümmeln oder stehen zwischen Esstisch, Küche, Kachelofen und Sitzecke herum, wie gefallenes Herbstlaub das der Wind zusammenschiebt. Die Gespräche driften zwischen alten Legenden, lästigen Geschichten und neuen Problemen herum. Die Hunde wollen gekrault werden,  meine Eltern beweißen außerordentliches Sitzfleisch und so manches fühlt sich gut an - auch wenn es frisch eingerenkte Knochen sind. Familie eben.
Und immer wieder wird die alte Wirklichkeit neu gebaut, zusammengefügt aus den fragmentierten Erinnerungen aus unterschiedlichen Köpfen, unterschiedlichen Leben. Zusammengesetzt wie ein zerbrochene Vase, die nicht mehr taugt um neue Blumen dort einzuwasser, die aber noch immer gut anzusehen ist.

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